Er ist Professor für Wirtschaftsinformatik und beschäftigt sich mit E-Commerce in Betrieben genauso wie mit der Heilung von psychischen Krankheiten durch Online-Anwendungen. Über Stationen von Kiel über Würzburg bis Stony Brook in den USA und seiner Promotion an der Universität Wuppertal ist er nach Lüneburg gekommen:
Prof. Dr. Burkhardt Funk.
Der Wissenschaftler lehrt an der Leuphana Universität und war als Gastwissenschaftler an University of Virginia, Charlottesville, und der Stanford University tätig. Neben zahlreichen Publikationen und Vorträgen ist er selbst unternehmerisch aktiv. Funk arbeitete als Berater bei McKinsey & Company und gründete seit 2000 zahlreiche Unternehmen, wie Adference, das GET.ON Institut oder die GFEH.
Im Rahmen unserer Interviewreihe “Digitalisierung der Arbeit” haben wir mit Burkhardt Funk über Veränderungen der Arbeitswelt gesprochen – mit all Ihren Möglichkeiten und Herausforderungen für kleine und mittelständische Unternehmen. Er verrät uns seine Tipps um digital mitzuhalten, welche IT-Trends uns noch lange beschäftigen werden und welche Rolle Daten sowie die EU-DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) dabei spielen. Und auch Funk kennt das: Softwaredokumentation sei ein “ungeliebtes Kind”… Ob Flowshare da vielleicht etwas dran drehen kann?
Lieber Herr Funk, stellen Sie sich und Ihren Arbeitsbereich doch mal vor.
Funk: Ich habe an der Leuphana Universität eine Professur für Wirtschaftsinformatik und die Themen, mit denen ich mich im Wesentlichen beschäftige sind datengetriebene Entscheidungsmodelle – sprich auf Basis von Nutzerverhalten, Vorhersagen für zukünftiges Verhalten abzuleiten. Das machen wir in zwei Kontexten:
Einerseits seit 20 Jahren im Bereich E-Commerce und Online-Werbung, wo wir aufgrund von historischen Daten Vorhersagen machen, wann, ob und was ein User kaufen wird und wie man das beeinflussen kann.
Vor zehn Jahren habe ich begonnen die Methoden, die wir im E-Commerce entwickelt haben, auch auf den Bereich der psychischen Gesundheit anzuwenden. Dabei geht es um die Prävention und Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen mithilfe von Online-Anwendungen. Auf Basis von Verhaltensdaten versuchen wir vorherzusagen, wie sich individuelle Symptome entwickeln und wie sich diese positiv beeinflussen können.
Zurzeit arbeite ich mit Kollegen aus Israel und den USA an einem Artikel über eine Anwendung zum Thema Essstörung. Hierbei untersuchen wir den Einsatz von Text Mining Verfahren für die Analyse von Nutzernachrichten.
Gleichzeitig sind Sie auch selbst unternehmerisch aktiv, in was für Firmen engagieren Sie sich?
F: Richtig, in meinen Forschungsthemen bin ich auch unternehmerisch aktiv und habe verschiedene Unternehmen gegründet, eins davon ist Adference: Da unterstützen wir Unternehmen bei der Optimierung ihrer Online-Marketingmaßnahmen mit Hilfe datengetriebener Modelle.
Get.On ist ein anderes, das aus der Uni heraus entstanden ist. Auch hier sind Forschungsprojekte Ausgangspunkt gewesen: Bei Get.On entwickeln wir internetbasierte Gesundheits-Interventionen für psychisch Erkrankte.
Insofern setzen wir die in der Wissenschaft entwickelten Modelle auch praktisch ein.
Wie schaffen es kleine und mittelständische Unternehmen mit der digitalen Entwicklung Schritt zu halten und alle Mitarbeiter erfolgreich mitzunehmen?
F: Ich habe da natürlich eine sehr spezifische Sicht, weil die Unternehmen, mit denen ich arbeite, sehr jung und Technologie-affin sind. Beispielsweise ist es bei Adference keine Frage, ob Mitarbeiter mit der digitalen Transformation mithalten oder nicht – sie gestalten die digitale Transformation.
Gleichzeitig kann ich aus meiner Beratungs- und Beiratstätigkeit berichten: Gerade in etablierten Unternehmen ist es häufig so, dass Mitarbeiter eher wenig mit der digitalen Transformation zu tun haben. Die Digitalisierung in solche Unternehmen reinzubringen, ist meiner Erfahrung nach schwierig und funktioniert letztendlich über zwei Wege:
Erstens, das Top-Management macht eventuell mit externer Expertise immer wieder deutlich, wie zentral dieses Thema für das Unternehmen ist: Welche Teile der Wertschöpfung sind bedroht und welche Chancen sich ergeben.
Zweitens geht es darum, dafür zu sorgen, dass ausreichend junge Talente in einem Unternehmen aktiv sind – digital natives. Genau das ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor junger Wachstumsunternehmen und kann man auch in größeren, mittelständischen Unternehmen abbilden: Junge Leute an den Start bringen, für die sich das Thema Digitalisierung gar nicht als etwas Neues stellt, sondern gegeben ist.
Wenn man mal an Tools und Systeme denkt: Was für Systeme brauchen Firmen um ihre Aktivitäten zu unterstützen und IT erfolgreich zu integrieren?
F: Ich glaube, das kommt auf die Ausrichtung des Unternehmens drauf an. Bei B2C-Unternehmen, wo sich alles um den Endkunden dreht, ist ein geeignetes CRM-System (Customer-Relationship-Management-System) und saubere Abläufe rund um das CRM-Thema von zentraler Bedeutung. Hier ist wichtig von Beginn an eine vernünftige Softwareauswahl für das Customer-Relationship-Management zu treffen.
Einen weiteren Aspekt habe ich in verschiedenen Beratungsprojekten mit kleinen und mittelständischen Unternehmen immer wieder festgestellt: Sie fangen an betriebswirtschaftliche Standardfunktionen selbst zu implementieren.
Das heißt: Unternehmen nutzen bestimmte Programme, beispielsweise für die Finanzbuchhaltung. Wenn dann der Geschäftsbetrieb ausgebaut wird, kommt es immer wieder vor, dass IT-Eigenentwicklungen begonnen werden – diesen Schritt gilt es genau zu prüfen.
Also würden Sie empfehlen in solchen Situationen lieber auf andere Softwarelösungen umzusteigen als selbst Lösungen zu entwickeln?
F: Unternehmen sollten sich das Thema bewusst machen und Standardfunktionen wenn möglich auch durch Standardsoftware abdecken. Sie sollten das Thema aktiv managen und keine Eigenlösungen bauen. Das halte ich für kleine Unternehmen für ein ganz zentrales Thema, zumindest, wenn die IT nicht das Kernprodukt selbst ist. Ich würde dann immer versuchen auf bestehende Software aufzubauen.
Wo sehen Sie die wichtigsten IT-Trends der Zukunft?
F: 1. Cloud-Computing, halte ich für einen Trend, der nicht mehr weggehen wird. Wir sehen immer weniger Unternehmen, die ihre eigene IT Infrastruktur betreiben und sich stattdessen immer mehr auf Cloud-Dienstleistungen konzentrieren. Das wird auch weiterhin stark dominieren.
2. Das zweite ganz, ganz große Thema sind datengetriebene Entscheidungen, Predictive Analytics, Business Intelligence: also die Frage, wie ein Unternehmen Daten klug nutzen kann. Das ist ein Thema das nicht nur für die Großen wie Google oder Amazon relevant ist, sondern auch für kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs). Auch die sollten sich immer fragen: Welche Daten sammeln wir aktuell, welche Daten könnten wir sammeln und welchen Mehrwert könnten wir daraus für unsere Kunden schaffen bzw. wie an Effizienz gewinnen?
3. Außerdem sehe ich, dass es in letzten Jahren immer schwieriger geworden ist, gute Softwareentwickler zu bekommen: in dem Bereich haben wir viel zu wenig Ressourcen. In Hamburg oder Berlin bekommen Sie heute eventuell noch Softwareentwickler, wenn Sie die richtigen Konditionen anbieten. In Locations, die nicht ganz so “hip” sind, ist es heute manchmal nicht mehr eine Frage des Geldes. Das wird sich meiner Meinung nach noch verschärfen. Ob Software-Entwicklung oder Data Engineering – IT-nahe Kompetenz zu entwickeln, ist für Mitarbeiter eine absolut sichere Bank für die nächsten Jahre.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung auch mit Online-Marketing: Welche Rolle spielt das Tracken und Auswerten von Website-Daten, auch für KMUs?
F: Diese Daten spielen mittlerweile für viele Unternehmen eine große Rolle. Durch Datenauswertungen kommen sie zu besseren Prognosen über die zu erwartende Entwicklung und damit auch zu einer besseren Planung.
Aus meiner Sicht profitieren Unternehmen extrem, wenn sie eine Person oder Gruppe haben, die mit offenen Augen durch das Unternehmen gehen und sich anschauen, welche Daten vorhanden sind und wie diese genutzt werden können. Das ist etwas, was wir auch in Workshops mit Unternehmern machen: welche Datenquellen existieren und wie können diese genutzt werden, bessere Entscheidungen zu treffen.
Sie beraten ja auch selber kleine und mittelständische Unternehmen: Wie können KMUs effiziente Datennutzung auch bei sich erreichen?
F: Aus meiner Sicht braucht man zumindest eine verantwortliche Person, der dieser Hut aufgesetzt wird und die das Unternehmen dahingehend mit offenen Augen betrachtet. Manchmal kann das in KMUs zu Beginn auch ein pfiffiger Student oder eine pfiffige Studentin sein. Wichtig ist zu analysieren, wie Daten Entscheidungen beeinflussen können – deskriptive Statistiken, zum Beispiel in Form von KPIs (Key Performance Indikatoren, Leistungsindikatoren) sind dabei nur der erste Schritt. Spannend wird es im nächsten Schritt, wenn der Einstieg in Themen wir Predictive Analytics gelingt.
Was machen die, die mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind und keine Zeit für Themen wie “Datenanalyse” haben?
F: Selbst wenn ein Unternehmen einen Bereich zur Datenanalyse hat, sind diese häufig durch regelmäßige Reporting-Aufgaben überlastet. Es müssen deshalb bewusst Freiräume und Kapazitäten für Analysen geschaffen werden – dies ist meines Erachtens der Schlüssel um langfristig innovativ und erfolgreich zu bleiben.
Welche Rolle spielt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)?
F: Die DSGVO verändert de jure in Deutschland gar nicht so viel, vereinheitlicht aber auf europäischer Ebene die rechtlichen Rahmenbedingungen und schafft sicherlich ein erhöhtes Bewusstsein für Datenschutzbelange. Das mag für manche Unternehmen den Umgang mit Daten erschweren.
Abschlussfrage: Haben Sie Erfahrungen mit Software-Dokumentation?
F: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Softwaredokumentation häufig ein ungeliebtes Kind ist. Vielleicht ist das in Startups und jungen Unternehmen noch viel ausgeprägter als in etablierten Unternehmen. Ich glaube, dass Dokumentation aber ein sehr wichtiges Thema ist, um Systeme nachzuvollziehen … und dies ist auch für Startups von zentraler Bedeutung, wenn einmal an den Exit gedacht wird. Prozesse sollten von Beginn an vernünftig dokumentiert sein, damit Dokumentationen nicht erst in diesem Fall erarbeitet werden müssen.